Die Regierung in Griechenland hat zum 20 August 2012 eine signifikante Entscheidung zu treffen, die vielleicht auch ihre letzte wichtige Entscheidung sein wird.
Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis schob die Troika die Vorlage ihres anhängigen Berichts über die Lage in Griechenland nicht von ungefähr auf September hinaus, zumal es seines Erachtens kaum jemanden geben dürfte, der mehr als 2 Stunden für die Beurteilung der Lage benötigen wird. Vielmehr sieht er einen unmittelbaren Zusammenhang mit der am 20 August 2012 fällig werdenden griechischen Anleihe, die sich in den Händen der EZB befindet und folglich zu ihrem gesamten Nennwert von 3,2 Mrd. Euro auszulösen ist.
Warum die Fälligkeit ausgerechnet dieser Anleihe möglicherweise die schon lange überfälligen Entscheidungen über den – so wie so ernsthaft in Frage stehenden – Verbleib Griechenlands in der europäischen Währungsgemeinschaft erzwingen wird, legt Yanis Varoufakis in einem Artikel dar, der am 27 Juli 2012 auf dem griechischen Portal „Protagon“ publiziert wurde und nachstehend in deutscher Übersetzung wiedergegeben wird.
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Am 20 August 2012 wird die Regierung ihre signifikanteste – vielleicht die letzte signifikante – Entscheidung treffen. Es ist der Tag, an dem eine jener Anleihen ausläuft, die nicht „geschnitten“ wurden, weil sie von der EZB aufgekauft worden waren (wie bekannt betrachtet letztere ihre eigenen Anleihen im Gegensatz zu denen der Kleinanleger und Versicherungsträger als etwas wie heilige Kühe). Um sie auszulösen, muss sich der griechische Fiskus irgendwo ungefähr 3,2 Mrd. Euro leihen, um zu 100% die EZB zu bezahlen, wozu anzumerken ist, dass diese die Papiere im vergangenen Jahr für 2,3 Mrd. Euro gekauft hatte – die EZB macht also einen alles andere als unbedeutenden Gewinn der Größenordnung von 900 Millionen Euro (*).
Es ist kein Zufall, dass die Troika abreiste um im September 2012 mit ihrer Bewertung zurückzukehren – also nach dem 20 August 2012. Benötigen sie drei Monate um festzustellen, dass das „Programm“ stecken geblieben ist? Dass die Gelder aus den Privatisierungen sich auf 5% der (unsinnigerweise) versprochenen belaufen werden? Dass der „Aufschwung“ am Boden liegt, dort auch in den kommenden Jahren bleiben und den Zeitplan der Tilgungszahlungen für unsere Kredite anfänglich an die Troika und (nach 2010) die Bankiers des Herrn Dalaras in die Luft sprengen wird? Dass selbst die gewinnbringendsten Unternehmen nicht mehr von den Banken finanziert werden und somit der vollständige Zusammenbruch des Arbeitsmarktes, der öffentlichen Einnahmen und der Versicherungsträger garantiert ist? Gibt es jemanden beim IWF oder in der EZB oder in der EU, der mehr als 2 Stunden benötigen würde, um den heißbegehrten Bewertungstext zu schreiben? Oder muss Herr Thomsen um jeden Preis Urlaub machen und beschloss „Rückkehr im September“, zusammen mit den Winterkinos?
Natürlich nicht. Der Bericht der Troika ist fertig. Der IWF hat bereits entschieden, dass auf Basis der finanztechnischen Fakten das Memorandum 2 „ausgegangen“ ist. Dass es keine Verlängerung retten wird. Es bleibt einfach nur, den politische Entschluss zu fassen. Entsprechend ist das genau selbe auch der EZB bestens bekannt und sie begreift, dass Griechenland irgendwann gezwungen sein wird, seine Verpflichtungen ihr gegenüber zu brechen. Ebenso auch den übrigen Mitgliedstaaten der Eurozone: sie erwarten, dass ein großer Teil der Griechenland gewährten bilateralen Kredite „geschnitten“ werden wird. Das Thema „was machen wir mit Griechenland“ ist somit weder finanztechnisch, noch basiert es darauf, welche wie auch immer gearteten Kürzungen und Reformen die Regierung (bis September) vornimmt, und auch nicht auf den Einschätzungen des Herrn Thomsen und der Troika. Wovon es abhängt? Es hängt ganz einfach davon ab, ob Deutschland, Holland, Finnland gemeinsam beschließen, entweder uns durch das Fenster aus dem Euro hinauszuwerfen oder den „Schnitt“ unserer Schulden zu gestatten (etwas, das – wie wir uns erinnern – unter dem Euphemismus „Umschuldung“ bekannt ist).
Gestattet mir eine Stellungnahme: Falls sie befinden, uns aus dem Fenster stürzen zu können und damit Spanien und Italien zu retten, werden sie es im selben Augenblick tun! Der Grund ist simpel: Der EFSF verfügt nach den Geldern, die er den spanischen Banken zugesagt hat, über weitere 80 bis 90 Milliarden. Was den ESM betrifft, also den beständigen Mechanismus, der den EFSF ersetzen wird, ist seine Gründung bei dem Verfassungsgerichtshof Deutschlands hängen geblieben. Derweilen benötigen die Fisken Spaniens und Italiens unmittelbar 800 Mrd. innerhalb des Jahres 2013. Es ist offensichtlich, dass, wenn Frau Merkel vor ihren Bundestag tritt und solche Summen zur Stützung des EFSF verlangen wird, sie diese auf keinen Fall erhalten wird – außer, sie stützt sich so sehr auf die Opposition der SPD, dass sie ihre Parteibasis verliert. Ganz einfach, sie wird es nicht tun, speziell ein Jahr vor den Bundestagswahlen. Andererseits, wenn sie es nicht tut, wird sie bald zu damit beginnen haben, D-Mark zu drucken, da der Zusammenbruch Spaniens und Italiens innerhalb der Eurozone inzwischen mehr als gegeben ist.
Eine Überlegung, die derzeit Frau Merkel umgibt (und die ihr diverse Berater eingeflößt haben), ist folgende: Wenn Griechenland durch das Fenster aus dem Euro geworfen wird und ein ungeheurer Aufruhr an den Börsen folgt, werden sich die deutschen Wähler in die Hosen machen. Sie werden befürchten, das gesamte europäische Konstrukt und sogar auch selbst Frankfurt in Erschütterung geraten zu sehen. Mit dieser Angst, denkt sich Frau Merkel, werden sie vielleicht vorbereitet sein, ihren Vorschlag zur Rettung Spaniens und Italiens mit ungeheuren Summen zu akzeptieren. Indem sie sogar griechisches Blut „geleckt“ haben (da Griechenland durch eine chaotische und katastrophale Rückkehr zur Drachme ausbluten wird), wird unser Land vollständig die Rolle des Sündenbocks gespielt haben, damit die öffentliche Meinung in Deutschland bereit ist, große stimulierende und teure Spritzen zugunsten Spaniens und Italiens zu akzeptieren.
Andererseits hört Frau Merkel natürlich auch auf entgegen gesetzte Meinungen, welche ihr sagen, es sei unmöglich, dass jemand ein Absacken voraussehen und handhaben kann. Dass ein Ausscheiden Griechenlands den Sack des Äolus öffnen wird und nicht von der Eurozone aufrecht bleiben wird. Wenn jedoch Frau Merkel diese Berater fragt, was geschehen könne, damit Griechenland letztendlich nicht aus dem Euro ausscheidet, zerbricht ihre Antwort ihr das Herz, da sie weiß, dass sie das, was zu geschehen hat, im Bundestag nicht einmal zu flüstern bereit ist. Was dies ist? Eine Lösung wäre der Schnitt der griechischen Schulden an die Troika – den ich bereits ansprach. Eine andere Lösung wäre ein Moratorium bei den Tilgungen, so dass der Betrag der Schulden der selbe bleibt, jedoch die Tilgungen einfrieren, bis die griechische Wirtschaft zu schrumpfen aufhört. Die erste Lösung wird nicht von der EZB akzeptiert werden, da sie völlig das Dogma umstürzt, die Schulden an sie seien heilig. Die zweite Lösung lehnen die Überschussländer ab, da so etwas die politische Verhängung harter Austerität für Spanien und Italien annullieren würde. Warum? Weil diese Austerität mit mathematischer Genauigkeit die Rezession herbeiführt. Wäre also das Ende der Rezession vorab Voraussetzung für die Tilgung seitens der peripheren Staaten an die Troika (wie es in einer Währungsunion gelten müsste), würde die Verhängung von Sparauflagen für Länder wie Spanien der Erlaubnis gleichkommen, ihre Schulden niemals zu bezahlen!
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